Am letzten Wochenende fanden in der Schweiz die Parlamentswahlen auf eidgenössischer Ebene statt.
Beim Nationalrat (Volksvertretung) musste das Bundesamt für Statistik (BfS) noch Mitte der Woche eine Korrektur der Parteienstärke vornehmen. Diese hatte keine Auswirkungen auf die Sitzverteilung, führte aber zu negativen Kommentaren in der Presse. Was ist passiert?
Die Stimmen werden in der Schweiz dezentral in jeder Gemeinde durch einen Stimmrechtsausschuss oder durch speziell aufgebotene Stimmenzähler ermittelt. Das Ergebnis wird anschliessend an die nächsthöhere Stelle weitergegeben und konsolidiert, entweder über eine Schnittstelle oder manuell. Das kann zu Fehlern führen.
Viele Systeme in der Schweiz funktionieren in dieser Weise. Sie sind dezentral gesteuert, mit vielen regionalen Besonderheiten, ohne zentrale Steuerung, ohne einheitliche IT. Ein einheitliches elektronisches Patientendossier lässt zum Beispiel auf sich warten. Deshalb ist es technisch schwierig, Gesundheitsdaten in grossen Mengen auszutauschen und zentral zu verwalten.
Was bei den Wahlen ein Stolperstein sein kann, hat beim Datenschutz enorme Vorteile. Denn es ist technisch anspruchsvoll, gewachsene Systeme zu vereinheitlichen und zu zentralisieren. Obendrein löst es enorme Widerstände aus, wenn eine zentrale Stelle Abläufe, Systeme und Programme für alle vorschreiben will.
Digitale Systeme, denen der Hintergedanke innewohnt, Menschen stärker zu steuern und zu kontrollieren, haben es hierzulande deshalb schwer. Vor einigen Jahren wurde zum Beispiel ein Passgesetz in einer Volksabstimmung abgelehnt, weil es vorsah, biometrische Daten in einer zentralen Datenbank zu speichern. Seither dürfen diese Daten nur in den Pässen selbst enthalten sein, die Behörden dürfen sie nicht speichern. Dieser positive Aspekt wird zuweilen zu wenig gewürdigt, wenn es bei der Konsolidierung von Wahlergebnissen eine Panne gibt.
Die Reaktionen der ausländischen Presse
Dass die Wahlen zu einem Rechtsrutsch geführt haben, veranlasste deutsche Medien, kritische und belächelnde bis bevormundende Töne zum Wahlausgang anzuschlagen. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) wird als rechtsextrem dargestellt.
Schlagzeilen waren zum Beispiel: «Verloren in der Mitte Europas», «Der ganz normale Rechtspopulismus», «Wo Angst vor Fremden schon Folklore ist» oder «Im radikalen, reichen Idyll zeigt die Schweiz ihr hässliches Gesicht» (hier, hier, hier und hier).
Immer wieder – und das ist besonders unangemessen – wird in Deutschland der Vergleich der siegreichen Schweizerischen Volkspartei (SVP) mit der Alternative für Deutschland (AfD) gezogen. Dieser Vergleich hängt schief – schon rein geschichtlich sind die Unterschiede gewaltig.
Während die AfD eine Neugründung ist und bisher nie Regierungsverantwortung trug, handelt es sich bei der SVP um eine traditionelle Partei. Sie wurde 1917/1918 gegründet und erreichte bereits 1919 bei den Nationalratswahlen 30 Sitze. Seit 1929 ist sie praktisch ununterbrochen im Bundesrat – der Landesregierung – vertreten. Sie trägt also seit jeher Regierungsverantwortung.
Die Kommentare zeigen, dass die ausländischen Medien das auf Konsens, Machtteilung und kollektives Regieren ausgerichtete politische System der Schweiz nicht kennen und noch weniger verstehen.
Es ist hierzulande gang und gäbe, dass Vertreter einer Partei Regierungsverantwortung tragen, während Parlamentarier der gleichen Partei in der Volksvertretung gegen ebendiese Regierung Opposition machen.
Kleine Parteien schliessen sich der SVP-Fraktion an
Die massnahmenkritischen Organisationen konnten bei den Wahlen die erhofften Sitzgewinne nicht realisieren. Die Themen, die mobilisierten, waren: die Ausländerpolitik, die Angst, dass die Energiewende auf dem Buckel des Mittelstandes vollzogen wird, die gefährdete Neutralität sowie neue identitätspolitische Themen wie die grassierende Genderpolitik, die mit Verspätung auch in der Schweiz Einzug gehalten hat, von den linken und grünen Parteien gezielt gepusht wird – und der die Bürgerlichen mit Ausnahme der SVP nichts entgegensetzen.
Die kleine, christlich-konservative Eidgenössisch Demokratische Union (EDU) – sie hatte Listenverbindungen mit massnahmenkritischen Organisationen vereinbart -, konnte sich allerdings von einem auf zwei Sitze verbessern. Die Lega dei Ticinesi kehrt mit einem Sitzgewinn ins Parlament zurück und das rechte Genfer MCG schickt gleich zwei Nationalräte nach Bern. Wie kürzlich bekannt wurde, schliessen sich diese Vertreter nun mit Ausnahme eines MCG-Vertreters, der wohl im zweiten Wahlgang in den Ständerat (Kantonsvertretung) gewählt wird, der Fraktion der SVP an. Damit wächst diese weiter.
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