Die Geschichte der Reformpädagogik muss angesichts neuer Erkenntnisse über das Wirken von Helmut Kentler in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe neu geschrieben werden.
Ein Ende Februar in Berlin vorgestellter Bericht enthüllt, dass mächtige Strippenzieher in der Kinder- und Jugendhilfe ihr pädagogisches Renommee missbrauchten, um Jungen sexuell zu missbrauchen. Das sogenannte «Kentler-Experiment», initiiert in den 1970er Jahren, bei dem Buben bei pädophilen Pflegevätern untergebracht wurden, wird nun als pädophiles Netzwerk entlarvt.
Helmut Kentler, ehemaliger Direktor des Pädagogischen Zentrums in Berlin, verkaufte sein «Experiment» als pädagogischen Erfolg. Das letzte Pflegeverhältnis wurde erst 2003 aufgelöst. Kentler, Gerold Becker und Herbert E. Colla werden im Bericht als Täter genannt, die Jungen missbrauchten, die das Landesjugendamt West-Berlin in ihrer Funktion als «Sonderpflegestelle» zuwies. Becker, bekannt als Leiter der Odenwaldschule, nutzte die Verbindung zu Kentler, um in zumindest einem Fall Jungen in Berlin zu missbrauchen.
Die Studie zeigt, dass Kentler nicht nur Missbrauchstäter schützte, sondern auch seine eigenen Pflegesöhne missbrauchte. Weitere Jugendliche aus der Strafanstalt Plötzensee wurden ebenfalls vermittelt und es wird von massiven sexuellen Übergriffen Kentlers berichtet. Besonders brisant sind die Erkenntnisse zu Herbert E. Colla, einem anerkannten Experten für Pflegekinderhilfe und Heimerziehung. Colla vernachlässigte und missbrauchte seine eigenen Pflegekinder, und Beschwerdebriefe an das Jugendamt blieben unbeantwortet.
Die Studie deckt ein Netzwerk in der Reformpädagogik auf, das die Heimreform für pädophile Zwecke nutzte. Martin Bonhoeffer, von Kentler nach Berlin geholt, war in den 1970er Jahren für die Heimaufsicht in Berlin zuständig. Bonhoeffer und andere Akteure des Netzwerks kannten sich aus dem Pädagogischen Seminar in Göttingen. Die Heimaufsicht und weitere Akteure wurden beschuldigt, «sexualisierte Übergriffe» gedeckt zu haben.
Hartmut von Hentig, ein bekannter Reformpädagoge, der sich lange zum Missbrauch seines Lebenspartners Gerold Becker ausschwieg, wird ebenfalls in die Affäre verwickelt. Seine Missbrauchsverharmlosung erscheint angesichts der neuen Erkenntnisse konsequent.
Die Reformpädagogen verfolgten kein fürsorgliches Erziehungsziel, sondern zielten auf sexuellen Missbrauch ab so die Schlussfolgerung des neuen Berichts.
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