Die Welt kann sich manchmal wie ein kalter Ort anfühlen, aber neue Erkenntnisse zeigen, dass etwa alle zwei Minuten ein kleiner Akt der Freundlichkeit stattfindet. Genauer gesagt haben Forscher der University of California, Los Angeles (UCLA) in Zusammenarbeit mit einem internationalen Wissenschaftlerteam herausgefunden, dass Menschen auf der ganzen Welt alle paar Minuten andere um Hilfe bitten – und in der überwiegenden Mehrheit der Fälle kommen die Menschen diesen kleinen Bitten um Hilfe auch nach. Über die in Scientific Reports veröffentlichte Arbeit berichtet Study Finds.
Den Autoren der Studie zufolge scheinen freundliche Handlungen generell recht häufig und universell zu sein: Menschen verschiedener Kulturen teilen möglicherweise weitaus mehr ähnliche kooperative Verhaltensweisen, als frühere Forschungen vermuten liessen.
Unter der Leitung des UCLA-Soziologen Giovanni Rossi, zusammen mit Wissenschaftlern aus Deutschland, Ecuador, Australien, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich, sollte die Studie ursprünglich die menschliche Fähigkeit zur Zusammenarbeit untersuchen. Dabei kam heraus, dass Menschen alle paar Minuten signalisieren, dass sie Hilfe brauchen, indem sie zum Beispiel jemanden bitten, ihnen ein Utensil zu reichen. In den seltenen Fällen, in denen andere Menschen die Hilfe ablehnen, erklären diese, warum sie das tun.
Verschiedene Kulturen helfen auf unterschiedliche Weise
Diese beobachtete menschliche Tendenz – nämlich anderen zu helfen, wenn diese es brauchen, und sich zu erklären, wenn sie es selbst nicht können – geht den Ergebnissen der Studie zufolge über kulturelle Unterschiede hinaus. Diese Ergebnisse helfen bei der Beantwortung von Fragen, die von früheren anthropologischen und wirtschaftlichen Untersuchungen aufgeworfen worden sind. Dort wurden die Unterschiede in den Regeln und Normen der Zusammenarbeit hervorgehoben.
So befolgen beispielsweise die Waljäger von Lamalera in Indonesien festgelegte Regeln für die Aufteilung eines grossen Fangs, während die Hadza-Sammler in Tansania ihre Nahrung aus Angst vor negativem Klatsch und Tratsch eher teilen. In Kenia wird von den wohlhabenderen Orma-Dorfbewohnern in der Regel erwartet, dass sie für öffentliche Arbeiten, wie etwa Strassenprojekte aufkommen. Die wohlhabenden Einwohner von Gnau in Papua-Neuguinea hingegen würden dem niemals zustimmen, da dies für ihre ärmeren Nachbarn eine unangenehme Verpflichtung zur Gegenleistung bedeuten würde. In einer Mitteilung der UCLA erklärte Rossi:
«Kulturelle Unterschiede wie diese haben zu einem Rätsel für das Verständnis von Kooperation und Hilfe unter Menschen geführt. Sind unsere Entscheidungen über das Teilen und Helfen durch die Kultur geprägt, in der wir aufgewachsen sind? Oder sind die Menschen von Natur aus grosszügig und hilfsbereit?»
Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen analysierten die Studienautoren mehr als 40 Stunden Videoaufnahmen des täglichen Lebens von mehr als 350 Menschen an geografisch, sprachlich und kulturell unterschiedlichen Orten. So zum Beispiel in Städten in Polen, Italien, England und Russland sowie in ländlichen Dörfern in Ecuador, Ghana, Laos und bei den australischen Ureinwohnern.
Acht von zehn Menschen helfen, ohne darüber nachzudenken
Bei ihrer Bewertung konzentrierten sich die Forscher speziell auf Sequenzen, in denen eine Person ein Signal für Hilfe sendete (direktes Bitten oder sichtbare Schwierigkeiten bei einer Aufgabe) und eine andere Person darauf reagierte. Das Team ermittelte über 1000 Anfragen, die im Durchschnitt etwa alle zwei Minuten auftraten. Bei diesen Situationen handelte es sich immer um «kostengünstige» Entscheidungen, beispielsweise in Bezug auf die gemeinsame Nutzung von Gegenständen des täglichen Bedarfs oder die Unterstützung anderer bei Aufgaben im Haus oder im Dorf.
«Kostenintensivere» Entscheidungen, die in früheren Untersuchungen behandelt wurden, wie das Teilen der Beute einer erfolgreichen Waljagd oder der Beitrag zum Bau einer Dorfstrasse, sind weit weniger häufig.
Einzelpersonen kamen kleinen Bitten siebenmal häufiger nach, als dass sie diese ablehnten, und sechsmal häufiger, als sie sich entschieden, andere zu ignorieren. Statistisch gesehen waren die durchschnittlichen Ablehnungs- (10 Prozent) und Ignorierungsraten (11 Prozent) viel niedriger als die durchschnittliche Erfüllungsrate (79 Prozent).
Diese Tendenz, kleinen Bitten nachzukommen, gilt für alle untersuchten Kulturen und scheint völlig unabhängig davon zu sein, ob es sich um eine Interaktion zwischen Familienmitgliedern oder Nicht-Familienmitgliedern handelt. Wenn sich jemand dazu entschlossen hatte, eine helfende Hand zu reichen, tat er dies in der Regel ohne Erklärung. Wenn jedoch jemand eine Hilfe ablehnte, gab er in 74 Prozent der Fälle einen ausdrücklichen Grund dafür an. Dies deutet darauf hin, so die Forscher, dass Menschen, die anderen aus einem guten Grund helfen wollen, dies bedingungslos tun, ohne eine Erklärung dafür abzugeben.
N. J. Enfield, ein weiterer Autor der Studie und Linguist an der Universität Sydney teilte mit:
«Eine kulturübergreifende Vorliebe für das Eingehen auf kleinere Bitten wird durch frühere Forschungen über Ressourcenteilung und Kooperation nicht nahegelegt. Diese deuten stattdessen darauf hin, dass die Kultur zu einer nennenswerten Variation des prosozialen Verhaltens aufgrund lokaler Normen, Werte und Anpassungen an das natürliche, technologische und sozioökonomische Umfeld führen sollte. Diese und andere Faktoren könnten es den Menschen prinzipiell leichter machen, bei kleinen Anfragen Nein zu sagen, doch das ist nicht der Fall.»
Zusammenfassend ist Rossi der Ansicht, dass Hilfsbereitschaft ein tief verwurzelter Reflex der menschlichen Spezies ist. Er schliesst:
«Kulturelle Unterschiede kommen zwar bei besonderen Anlässen und kostspieligem Austausch ins Spiel, aber wenn wir uns auf die Mikroebene der sozialen Interaktion konzentrieren, verschwinden die kulturellen Unterschiede grösstenteils, und die Tendenz unserer Spezies, bei Bedarf Hilfe zu leisten, wird allgemein sichtbar.»
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