Die bisher grösste Studie, in der die Sinnhaftigkeit einer einmaligen Einladung zu einem PSA-Bluttest zur Früherkennung von Prostatakrebs untersucht wurde, hat ergeben: Dieser Test hat zwar eine minimale Auswirkung auf die Verringerung der Todesfälle, doch er führt auch zu Überdiagnosen und versagt de facto bei der Früherkennung einiger aggressiver Krebsarten.
An der Studie, die im Journal of the American Medical Association (JAMA) veröffentlicht und von Forschern der Universitäten Bristol, Oxford und Cambridge durchgeführt wurde, nahmen mehr als 400’000 Männer im Alter zwischen 50 und 69 Jahren teil. Knapp die Hälfte erhielt im Rahmen der Studie eine einmalige Einladung zu einen PSA-Test (prostataspezifischer Antigentest).
Nach einer Nachbeobachtungszeit von 15 Jahren gab es einen minimalen Unterschied in der Anzahl der an Prostatakrebs verstorbenen Männer zwischen den beiden Gruppen. So waren knapp sieben von 1000 Männern in der Gruppe, die zum Screening eingeladen worden war, an Prostatakrebs gestorben – verglichen mit fast acht Männern von 1000 in der Gruppe, die nicht zum Screening eingeladen worden war.
«Zugleich zeigen die Ergebnisse der Studie, dass schätzungsweise eine von sechs Krebsarten, die durch das einzige PSA-Screening entdeckt wurden, überdiagnostiziert wurden», so Cancer Research UK, eine britische Wohltätigkeitsorganisation mit Sitz in London, die die Krebsforschung unterstützt und auch diese Studie mitfinanziert hat. Weiter heisst es dort:
«Cancer Research UK warnt davor, dass die Überdiagnose von Prostatakrebs die grösste Gefahr bei PSA-Tests zur Früherkennung darstellt. Dies kann zu einer unnötigen Behandlung von Krebsarten führen, die zu Lebzeiten keinen Schaden verursacht hätten. Eine Überdiagnose kann negative psychologische Auswirkungen haben und die Behandlung von Prostatakrebs kann körperliche Nebenwirkungen haben. Dazu zählt die Möglichkeit einer Infektion nach einer Biopsie, eine Erektionsstörung sowie Blasen- und Darmprobleme.»
Cancer Research UK macht ausserdem darauf aufmerksam, dass es sehr wichtig sei, auf seinen Körper zu hören und herauszufinden, was für einen selbst normal sei.
«Wenn Sie eine Veränderung bemerken, die nicht wieder verschwindet oder neu ist, sollten Sie mit Ihrem Arzt sprechen», so die Organisation. «Wenn ein Mann Symptome beim Wasserlassen hat – die meisten davon werden durch eine nicht krebsbedingte Vergrösserung der Prostata verursacht –, kann er sich an seinen Hausarzt wenden und sich beraten lassen, wozu auch ein PSA-Test gehören kann.»
Richard Martin, Hauptautor der Studie, Wissenschaftler bei Cancer Research UK und Professor für klinischer Epidemiologie an der Universität Bristol, konstatiert:
«In unseren Studien haben wir 15 Jahre lang die Wirksamkeit des PSA-Tests bei Hunderttausenden von Männern untersucht. Das wichtigste Ergebnis ist, dass die geringe Verringerung der Todesfälle durch Prostatakrebs, die durch den Test bei gesunden Männern erreicht wird, die potenziellen Schäden nicht aufwiegt.
Dies führt dazu, dass sich einige Männer einer invasiven Behandlung unterziehen, die sie nicht benötigen, und zwar viele Jahre früher als ohne Screening, und dass der Test auch einige Krebsarten, die behandelt werden müssen, nicht erkennt. Wir müssen bessere Wege finden, um aggressive Prostatakarzinome zu erkennen, damit wir sie frühzeitig behandeln können.»
In Deutschland ist Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung und die zweithäufigste Krebstodesursache bei Männern (mit schätzungsweise 17’000 Toten pro Jahr).
In Grossbritannien sieht es ähnlich aus. Dort sei Prostatakrebs die zweithäufigste Krebserkrankung bei Männern und verursache jährlich 12’000 Todesfälle, so Cancer Research UK. Das britische National Screening Committee (NSC), das die Beweise für Screening-Programme prüfe, empfehle derzeit kein Screening auf Prostatakrebs, da unklar sei, ob der Nutzen die Nachteile überwiege.
Laut Cancer Research UK habe es in den Jahren seit Beginn dieser Studie Verbesserungen bei der Diagnose und Behandlung der Krankheit gegeben, darunter die Einführung der Magnetresonanztherapie (MRT) vor der Biopsie.
«Diese Änderungen können dazu beitragen, einige der mit dem PSA-Test verbundenen Schäden zu vermeiden», so Cancer Research UK, «aber es muss noch weiter erforscht werden, wie aggressive Krebsarten, die behandelt werden müssen, erkannt werden können».
Naser Turabi, Direktor für Evidenz und Umsetzung bei Cancer Research UK, meint:
«Es ist erwiesen, dass eine einmalige Einladung zum PSA-Test im Rahmen eines Prostatakrebs-Screening-Programms den Männern wahrscheinlich mehr schadet als nützt.»
Und Neil Smith, Hausarzt für Cancer Research UK und Leiter der Krebsallianz für Lancashire und South Cumbria, meint:
«Angesichts der Tatsache, dass Prostatakrebs in Grossbritannien jedes Jahr 12’000 Todesfälle verursacht, verstehen wir vollkommen, warum Männer wissen wollen, ob sie die Krankheit haben, selbst wenn sie keine Symptome haben. Diese Untersuchung zeigt jedoch, dass ein PSA-Test zur Früherkennung mehr schaden als nützen kann – er ist einfach nicht genau genug und kann dazu führen, dass sich einige Männer Untersuchungen und Behandlungen unterziehen, die sie nicht brauchen.»
Dass der PSA-Test sehr kritisch zu sehen ist, ist unterdessen keine Neuigkeit. 2011 etwa brachte CNN einen Beitrag mit der Schlagzeile «Prostate cancer screening may do more harm than good» («Prostatakrebs-Screening kann mehr schaden als nutzen»). In dem Artikel heisst es:
«Die jüngste Nachricht, dass die U.S. Preventive Services Task Force, eine Gruppe hoch angesehener medizinischer Experten, erwägt, von der routinemässigen Prostatakrebsvorsorge abzuraten, dürfte niemanden allzu sehr überraschen ... So äussern viele angesehene Organisationen, die Vorsorgerichtlinien herausgeben, seit langem Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit und der bekannten Risiken der Prostatakrebsvorsorge.»
Zu den vielen Gruppen, die sich vorsichtig über den weit verbreiteten Einsatz des PSA-Tests geäussert hätten, würden die American Urological Association, das National Comprehensive Cancer Network, die European Urology Association und die American Cancer Society Zählen.
CNN beschreibt das Problem mit dem PSA-Test in kompakter Form wie folgt:
«Das weit verbreitete PSA-Screening begann erstaunlicherweise vor 20 Jahren, lange bevor sich jemand die Mühe machte, Studien zu initiieren, um herauszufinden, ob ein solches Screening Leben rettet ... Doch trotz des Widerstands von Ärzten und Patienten wurden die [randomisierten] Studien schliesslich durchgeführt und heute ist der Schaden des Screenings besser belegt als sein Nutzen.»
Kommentare