Gemäss den Medien teile sich die Welt derzeit in Demokratien auf der einen und autoritäre Herrscher auf der anderen Seite. Grundsätzlich müsse man aber zwischen einer moralischen Emphase und einer politischen Analyse unterscheiden, so der Politikwissenschaftler Michael Lüders.
Beim sich anbahnenden Konflikt mit China müsse man sich vergegenwärtigen: Die weltpolitische Bühne verändere sich gerade. Die USA seien nach wie vor die weltbeherrschende Macht, aber in den nächsten Jahren nicht mehr die alleinige.
Entlang dieser Konfliktlinie verliefen der Krieg in der Ukraine – ein Kräftemessen zwischen den USA und Russland –, und die Spannungen um Taiwan, wobei es darum gehe, ob es den USA gelingen werde, den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas zu beeinflussen.
China fungierte die letzten Jahrzehnte als verlängerte Werkbank des Westens. Seit den 2000er Jahren ist das Land wirtschaftlich immer stärker geworden, woraus politische Ansprüche resultierten, meint Lüders.
Die Amerikaner hätten in den 2010er Jahren das Problem erkannt. So hat US-Präsident Barack Obama 2012 gesagt:
«Unsere Nation befindet sich in einem Moment des Übergangs. Die Welt sortiert sich neu und sie braucht amerikanische Führungsstärke, damit die Vereinigten Staaten auch weiterhin die dominante Kraft für Freiheit und Wohlstand sein können.»
Ausserdem habe Obama betont, dass sich die USA notgedrungen wieder der Asien- und Pazifik-Region zuwenden müssten. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe im Kalten Krieg die Sowjetunion im Zentrum gestanden.
So besuchte 1972 der US-Präsident Richard Nixon China. Ziel sei es laut Lüders gewesen, China von der Einbindung der Sowjetunion zu lösen, um den kommunistischen Block zu schwächen. Im Zuge der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen 1979 zeigten die USA viel Entgegenkommen, die militärische Präsenz in Taiwan wurde abgezogen. Sie akzeptierten ebenso die Ein-China-Politik.
Um den Aufstieg Chinas gegenwärtig abzubremsen, würden diverse Methoden angewandt: etwa Sanktionen, Sonderzölle, verstärkte Militärpräsenz in der Region oder Moralismus durch die mediale Dämonisierung Chinas.
In den 2010er Jahren hätten die USA Waffen für zwei Milliarden Dollar an Taiwan verkauft. Daraufhin habe China die Militärausgaben erhöht. China werde mit zunehmender ökonomischer Potenz selbstbewusster auf dem politischen Parkett.
Die chinesischen Sorgen
Aus geografischer Sicht haben die USA zwei Ozeane als Nachbarn. Dagegen liegt China am östlichen Ende des asiatischen Kontinents, umgeben von feindlich gesinnten Ländern mit US-Militärbasen (zum Beispiel Südkorea, Japan, die Philippinen) sowie Taiwan.
Für China sind die Warenhandelswege durch die Malakka-Strasse bei Singapur wirtschaftspolitisch wichtig. Diese sind an der engsten Stelle lediglich 50 Kilometer breit ist. Dies, so Lüders, ermöglicht den USA und ihren Verbündeten eine einfache Blockade durch Kriegsschiffe.
Um das Malakka-Dilemma zu umgehen, habe China 2013 das Projekt «Neue Seidenstrasse» initiiert. In diesem Einzugsgebiet leben zwei Drittel aller Menschen. Diese «Modernisierung von oben» sei eine Mischung aus Staatskapitalismus und privater Umsetzung, zentral gesteuert von der Kommunistischen Partei Chinas.
Zwischen China und Russland gebe es eine immer engere Energiezusammenarbeit. Es gelinge dem Westen nicht, Russland durch Sanktionen in die Knie zu zwingen, weil sich Russland Richtung China und Indien orientiere.
Der entscheidende Konflikt, der sich anbahnt, ist gemäss Lüders Taiwan. Aus chinesischer Sicht ist es inakzeptabel, dass im eigenen Hinterhof ausländische Mächte Fuss fassen. Umgekehrt würden die USA nie chinesische Patrouillen im Golf von Mexiko akzeptieren.
Die Ein-China-Politik der Chinesen akzeptiere keine Abtrünnigkeit Taiwans, das ein Verbündeter der USA ist. In jüngerer Vergangenheit seien die Spannungen gestiegen. Die europäischen Führungsmächte würden bislang den Wünschen Washingtons entsprechen.
Taiwan: Knackpunkt des Nationenmythos
In der Wahrnehmung Chinas sei der Nationenbildungsprozess wegen der abtrünnigen Provinz Taiwans noch nicht abgeschlossen. Die Taiwan-Frage habe mindestens eine so grosse Bedeutung wie das Beschwören der deutschen Einheit hierzulande vor 1989, meint Lüders:
«(...) dass die USA zunehmend präsent werden in der Region des Pazifiks (...) ist aus chinesischer Sicht eine Provokation. Das ist ein Angriff auf die Mythologie der Kommunistischen Partei, für die diese Wiedervereinigung das grösste Ding ist.»
Die westliche Medienberichterstattung stelle den Konflikt dagegen so dar, als ginge es darum, eine chinesische Invasion Taiwans zu verhindern.
Die USA seien seit den 2010er Jahren dabei, den wirtschaftlichen Druck auf China zu erhöhen. Seit November 2022 dürfen beispielsweise keine Huawei-Produkte mehr in den USA verkauft werden.
Nichtsdestotrotz spiele China zukünftig in der Technologiebranche eine immer herausragendere Rolle und werde als politischer Akteur auf dem diplomatischen Parkett immer erfolgreicher aktiv.
So nahmen auf Initiative Chinas Saudi-Arabien und Iran wieder diplomatische Beziehungen auf. «Zudem ist China dabei, selbst im unmittelbaren wirtschaftlichen Hinterhof der USA, der Golfregion, immer mehr an Einfluss zu gewinnen», so Lüders: «China versucht auch, den Krieg in der Ukraine zu beenden.»
«Unter dem Strich bleibt festzuhalten: Wir sind die Kellner, China ist der Koch. Mit dieser Realität müssen wir uns auseinandersetzen. Wir werden uns mit den geopolitischen Realitäten neu befassen müssen. Im Windschatten der USA richten wir unsere Wirtschaft mit Sicherheit zugrunde und riskieren, in einen Krieg hineingezogen zu werden.»
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